242 - Paradoxiemanagement in der Praxis
Shownotes
Nach dem Interview mit Timm Richter und Torsten Groth teilt David in dieser Folge, wie er Inhalte aus dem Buch für ihn in die Praxis übertragen konnte. Was passiert eigentlich, wenn ein Team formal existiert – aber nicht wirklich zusammenarbeitet? Wenn ein Auftrag gegeben, aber nie angenommen wurde? Und wenn man als Scrum Master zwar dabei ist, aber nie dazugehört?
In dieser Folge nimmt dich David mit in einen echten Praxisfall aus seiner Beratung: Ein Release, das über ein Jahr verspätet war. Ein Team, das seine eigenen Spielregeln hatte. Und ein Umfeld, in dem Geschwindigkeit und Qualität völlig aus dem Gleichgewicht geraten waren.
Dabei geht es um mehr als nur Prozesse: Es geht um tieferliegende Dynamiken. Um drei paradoxe Spannungsfelder, in denen Teams eingebettet sind – und wie diese Spannungen die tägliche Zusammenarbeit beeinflussen.
David teilt offen, was nicht funktioniert hat. Und wie er schließlich doch noch Wirkung entfalten konnte – nicht durch Methoden, sondern durch Perspektivwechsel.
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Viel Spaß beim Hören! Dein David & Martin
Martin Aigner: Twitter: @aigner_martin LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/martin-aigner-865064193
David Symhoven: LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/david-symhoven-2a04021a5/ Buch: http://www.amazon.de/dp/398267431X
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Transkript anzeigen
Organisationen sehen Teams als Mittel zum Zweck. Nämlich einen oder mehrere komplexe Aufträge zu erfüllen. Das Team wird durch die Organisation ins leben gerufen, um einen Zweck zu erfüllen. Damit und das sei gleich gesagt, entsteht implizit ein Machtgefälle zwischen Teams und Organisation. Denn wer Teams berufen kann oder die nötigen Mittel zur Verfügung stellt, um einen Auftrag zu erfüllen, kann diese auch wieder entziehen.
Aber ganz so einseitig ist die Macht auf nicht. Worauf die Organisation nämlich keinen Zugriff hat, ist, wie sich der Selbsterhalt des personenorietneiorten sozialen Systems (also des Teams) vollzieht. Eine wesentliche Bedingung, die in einem Team stets verhandelt wird ist die Mitgliedschaft. Anders, wie bei Organisationen, die die Mitgliedschaft explizit über einen Arbeitsvertrag regelt, läuft das in Teams deutlich subtiler. Wer gehört dazu? Was wird von jedem Mitglied erwartet? WAs darf man sagen und was nicht?
Ein Beispiel, das jeder von uns kennen wird, sind die Cliquen, die sich neben der formalen Struktur der „Klasse“ auf den Schulhöfen ausgebildet haben. Eine Parallelwelt, die gleichzeitig existiert und die sich gegenseitig bedingen.
Die Paradoxie Erteilung eines Auftrags (außen) und Annahme eines Auftrags (innen) gilt es kontinuierlich zu evaluieren. Ein weiterer Grund warum Auftragsklärung keine einmalige Sache und so wichtig ist.
Das ist aber nur eine von 3 Paradoxien, in die ein Team eingebunden ist. Es gibt nämlich eine Dreieckskopplung aus Team, Organisation und Individuum.
Die Organisation vergibt einen Auftrag an ein Team, die diesen auch akzeptieren muss (Paradoxie: Vorgabe / Akzeptanz)
Die Organisation wirkt außerdem paradox auf die Individuellen Mitarbeiter:innen ein, insofern, als das sie ein Interesse daran haben, die Fähigkeiten der Mitglieder außerhalb des Teamkontextes für ihre Zwecke einzusetzen. Das Individuum hingehen hat das Interesse „Karriere“ machen zu können. (Paradoxie: Leistung / Karriere). Das Individuum ist also immer im Zwiespalt, ob es uneigennützig zum Teamerfolg beiträgt oder individuell auf seine Karriere achtet (Vor allem sehr gefährlich in Matrixorganisationen). Die dritte Paradoxie ist die zwischen Individuum und Team in Form von Bedürfnis / Beitrag. Welche Beiträge der Teammitgleider sind ausreichend oder nicht? Darüber wird die Mitgliedschaft ausgehandelt. „Das Anspruchsniveau der Aufgaben beeinflusst mit welchen Leistungen welches Teammitglied im Team bleiben kann oder nicht“ (S.115)
DAs bringt mich nun zu meinem Praxisfall. Genau dieser Satz hat den entscheidenden Gedanken ins Rollen gebracht. In einem Mandat war ich als Scrum Master beauftragt, ein Team dabei zu unterstützen ein großes (mehrfach verzögertes) Release zu veröffentlichen. Das Release hatte mehr als 1 Jahr Verzögerung, u.a. weil der ursprüngliche Termin nie mit den Entwickler:innen abgesprochen wurde und einfach utopisch war. Jedenfalls bin ich nie in dem Team angekommen. War nicht akzeptiert. Konnte keinerlei Wirkung entfalten. Auch weil es gefühlt kein Interesse an meiner Expertise gab. (Meine Fehler in der Auftragsklärung seien mal dahingestellt - in der Situation war ich nun). Die Erwartung von einzelnen Personen war „es solle nicht schlechter werden als vorher“ (danke dafür) oder „Das Daily moderieren und ausufernde Diskussionen unterbinden“. Selbst dazu war ich kaum in der Lage, weil es so unglaublich technisch zuging. Trotz meiner Erfahrung in der SWE hatte ich keine Ahnung wovon die geredet haben. Alles war super detailliert. Es gab keine klare Antworten. Keinen Brückenschlag zwischen Technik und Business.
In 2 Paradoxien habe ich mich gefangen gesehen. Zum einen in der Mitgliedschaftsbedingung: Die Währung war einzig und allein techn. und fach’. Kompetenz. Die hatte ich nicht und wollte ich auch nicht. Die technische Kompetenz, die ich anzubieten hätte (CI/CD, Pipelines, Pair Programming, TDD, Design Prinzipen) waren nicht relevant und nicht gewünscht. „So machen wir das hier nicht“. Vieles davon auch einfach nicht vorhanden. Lohnt es sich das anzugehen in Hinblick auf das Release in ein paar Monaten? Nein! Alle Kinder waren längst in den Brunnen gefallen.
Methodische Kompetenz war ebenfalls nicht erwünscht. Wozu?
Ich war also defakto kein Teammitglied sondern nerviges Übel. Management-Typ, der auch keine Ahnung von unserer Arbeit hat. Recht hatten sie.
Zum anderen war die Organisation in der Paradoxie gefangen, dass das Team den Auftrag „Release“ nicht akzeptiert hatte. Und da es keine kommunikative Brücke zwischen Business und IT gab, konnte das Team fortlaufend das Release verschieben (keiner konnte nachvollziehen was noch zu tun war - weil alles viel zu technisch formuliert war) und das Management hatte kein wirkliches Druckmittel. Hier war Geschwindigkeit vs. Qualität aus der Balance, bzw. sehr einseitig auf Qualität ausgerichtet mit der Konsequenz, dass es nie fertig wurde. Hier brauchte es also eine Bewegung Richtung Gegenpol Geschwindigkeit.
Man muss dazu sagen, dass es sich hierbei um ein rein internes Projekt handelte. Keine echte Kunden, kein drohender Zahlungsausfall, nichtmal eine technische Notwendigkeit gab es für das Release. Alles hausgemacht.
Was nun? Die einzige Wirkung, die ich entfalten konnte war, indem ich für Transparenz sorgte. Also habe ich die Paradoxie sichtbar und besprechbar gemacht. Ich habe mich intern bei meinem Chef abgesichert, habe den PO informiert (der mir wenigstens gut gesonnen war) und bin dann zusammen mit ihm zu Management und habe die Situation (wie hier) erklärt. Ein Druckmittel war über regulatorische Vorgaben tatsächlich schnell gefunden und mit einer guten Story sind wir dann geschlossen vor das Team getreten und haben gemeinsam ein Veröffentlichungsdatum festgelegt. In Konsequenz wurde der Qualitätsanspruch gesenkt und Scope reduziert. Die daraus entstandenen Risiken wurden besprochen und akzeptiert.
Das Problem mit der Teammitgliedschaft konnte ich nicht lösen, aber zumindest konnte ich der Organisation behilflich sein, ihren Auftrag im Team zu platzieren und durchzusetzen.
Die Paradoxiebrille hilft! Sie bringt mich auf neue bzw. andere Ideen. Ich sehe Dinge anders als früher und das ist sehr sehr wertvoll. Was erstmal sehr abstrakt und theoretisch klingt hat echte praktische Relevanz. Daher mache ich gerne nochmal Werbung für das tolle Buch von Timm Richter und Thorsten Groth, die Arbeit von Klaus Eidenschink mit der Metatheorie der Veränderung und natürlich auch mein Buch.
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