250 - Feedback als soziale Inszenierung
Shownotes
Was passiert, wenn Feedback nicht mehr ehrlich, sondern höflich wird? In dieser Folge erzähle ich von einer Konferenz, bei der sich die Feedbackrunde inhaltlich stark von meinem Empfinden unterschied. Ein Impuls über Gruppen, Erwartungen – und die Angst vor dem Widerspruch.
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Viel Spaß beim Hören! Dein David & Martin
Martin Aigner: Twitter: @aigner_martin LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/martin-aigner-865064193
David Symhoven: LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/david-symhoven-2a04021a5/ Buch: http://www.amazon.de/dp/398267431X
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Transkript anzeigen
"Die Konformität in unserer Gesellschaft ist so stark, das halbwegs intelligente und wohlmeinende Menschen bereit sind, schwarz als weiß zu bezeichnen." 1955 Solomon Asch.
Ich vermute, dass du das Asch-Experiment bzw. die Experimente rund um den Konformitätszwang bereits kennst. Falls nicht, möchte ich es dir kurz zusammen, denn ich sehe eine Verbindung zwischen Konformitätszwang und dem Thema, der heutigen Folge: Nämlich Feedback als soziale Inszenierung.
Aufbau des Experiments:
Solomon Asch wollte untersuchen, wie stark sich Menschen der Meinung einer Gruppe anpassen – auch wenn diese offensichtlich falsch ist.
Dazu entwickelte er folgendes Setting:
Eine Versuchsperson betritt einen Raum mit 7–9 weiteren Personen, die scheinbar ebenfalls Versuchspersonen sind – in Wahrheit sind sie Eingeweihte (Konföderierte).
Die Gruppe sieht zwei Karten:
Auf der einen Karte: eine Referenzlinie.
Auf der anderen: drei Vergleichslinien (A, B, C), von denen nur eine gleich lang ist wie die Referenzlinie.
Nun sollen alle – reihum – sagen, welche Linie gleich lang ist.
Die Versuchsperson ist immer an vorletzter oder letzter Stelle.
In den ersten Durchgängen geben alle Konföderierten die richtige Antwort. Dann beginnt die Gruppe plötzlich, offensichtlich falsche Antworten zu geben – absichtlich und geschlossen.
Ergebnisse:
Etwa 75 % der Versuchspersonen passten sich mindestens einmal der falschen Gruppenmeinung an.
Im Schnitt folgte die Versuchsperson in rund einem Drittel der Fälle (32 %) der Gruppe – obwohl die Antwort klar sichtbar falsch war.
In der Kontrollgruppe (ohne Gruppendruck) lag die Fehlerquote unter 1 %.
Wichtig: Allein 1 weiterer "Rebell" reicht, um die Fehlerquote drastisch zu sinken UND 3 Personen aus der "Peer Group" reichen aus, um den Konformitätszwang auszulösen. Jede weitere Person beeinflusst das Ergebnis kaum. Also einfach ausgedrückt: WENn 3 Menschen eine Meinung in den Raum setzen und keiner widerspricht, stimmen viele von uns dieser Meinung zu.
Kritik:
Eine Reihe von Kritikpunkten wurde gegen Aschs Experiment erhoben, u. a. die Frage bezüglich der Motivation von Studenten, akkurat zu sein. So bringen Kritiker vor, dass das Experiment statt eines Tests des Gruppenzwangs eher das Desinteresse der teilnehmenden Studenten zeige, sich in einem Konflikt um die richtige Antwort zu bemühen. Ferner war es den Teilnehmern in Aschs Experiment nicht erlaubt, zu interagieren.
Beobachtung:
Ich war neulich auf einer Konferenz. Inhaltlich inspirierend, keine Frage. Doch dann kam der Abschluss. Und wie es sich gehört – das ist jetzt ironisch gemeint – wurde im Plenum um Feedback gebeten. Also Mikrofon freigegeben, offene Runde, das klassische: „Was nehmt ihr mit? Was hat euch gefallen?“
Und was dann passierte, war für mich wie ein sozialpsychologisches Lehrstück:
Kaum jemand äußerte echte Kritik. Stattdessen: Dankbarkeit, Highlights, positive Erkenntnisse. Alles war „wertvoll“, „erkenntnisreich“, „toll organisiert“.
Und ich dachte: Moment mal. Habe nur ich die holprigen Stellen bemerkt? Die Redundanzen? Die inhaltliche Leere mancher Beiträge?
Psychologischer Unterbau:
Was da ablief, ist tief menschlich – aber auch tief problematisch. Denn wir verwechseln häufig Rückmeldung mit Repräsentation.
Feedback wird zur Bühne. Und diese Bühne folgt bestimmten sozialen Skripten.
Stichwort: Konformitätsdruck.
Wir Menschen sind soziale Wesen. Unser Gehirn ist evolutionär so gebaut, dass Zugehörigkeit überlebenswichtig ist. Kritik zu äußern – vor allem öffentlich – birgt immer das Risiko, sich von der Gruppe abzugrenzen. Und das fühlt sich existenziell bedrohlich an.
Asch-Konformitätseffekt:
Selbst wenn Menschen wissen, dass eine Aussage falsch ist, passen sie sich der Mehrheitsmeinung an – einfach nur, um nicht abzuweichen. Weil Abweichung sozialer Schmerz ist.
Pluralistische Ignoranz:
Das bedeutet: Alle glauben, dass sie mit ihrer eigenen Meinung alleine dastehen – und passen sich deshalb dem vermeintlichen Gruppenkonsens an. Auch wenn dieser Konsens nur eine Illusion ist.
A apropos Illusion: Hörbuch raus. Verweis auf Buch.
Rezension bei Apple oder 5 Sterne bei Spotify.
Transfer auf Organisationen:
In Organisationen beobachten wir genau das häufig in sogenannten Retrospektiven oder Abschlussrunden.
Das Format lädt zur Offenheit ein – aber die Struktur sorgt für das Gegenteil.
Wenn 30 Menschen gemeinsam gefragt werden, wie sie etwas fanden – was wird dann gesagt? Eben.
Systemisch gesprochen handelt es sich um eine Selbstbeschreibung des Systems, die nicht aus Operationalität, sondern aus Repräsentation entsteht.
Mit anderen Worten:
Es geht nicht darum, wie es war – sondern darum, wie wir als Gruppe wirken wollen.
Reflexion:
Und hier kommt mein eigener Zweifel ins Spiel.
Ich saß da und dachte: Vielleicht hast du es einfach falsch erlebt. Vielleicht bist du zu kritisch.
Aber nein – ich glaube, genau das ist das eigentliche Problem. Wenn Feedback nur noch nach Applaus klingt, dann verlieren wir den Kontakt zur realen Erfahrung. Und machen aus Reflexion eine Inszenierung.
Das ist gefährlich.
Denn Organisationen, die Feedback nur als Ritual behandeln, verlieren ihre Lernfähigkeit.
Sie bestätigen sich selbst – und bleiben stehen.
Was tun?
Was also tun, wenn du in solchen Situationen Feedback willst, das wirklich etwas bringt?
Drei Gedanken zum Abschluss:
Verändere die Struktur. Nicht „Was fandet ihr gut?“, sondern: „Was hat euch irritiert?“, „Wo habt ihr gezweifelt?“, „Was war weniger hilfreich als erhofft?“
Arbeite mit kleinen Gruppen: Plenumsformate erzeugen Bühne. Kleinformate erzeugen Gespräch.
Trenne Feedback von Bewertung: Wirkliches Feedback braucht innere Stabilität. Wenn ich nicht wissen muss, ob mein Beitrag gut war, sondern ob er gewirkt hat, entsteht die Möglichkeit für echten Kontakt.
Also – wenn du das nächste Mal in einer Runde sitzt und Feedback geben sollst: Frag dich, ob du gerade sprichst – oder performst. Und wenn du moderierst: Frag dich, ob du wirklich hören willst, was schieflief.
Denn nur dort, wo Kritik einen Platz hat, entsteht Entwicklung.
Und dafür – müssen wir reden.
Quellen:
https://www.simplypsychology.org/asch-conformity.html#Findings
https://www.youtube.com/watch?v=Otr4Lfh5Qm8
https://de.wikipedia.org/wiki/Konformit%C3%A4tsexperiment_von_Asch
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